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The Bottrops Promofotos 2012

THE BOTTROPS – „Wir müssen diesen „Ex-TERRORGRUPPE-Stempel doch nur ein bisschen aussitzen, in 20 bis 30 Jahren kräht doch kein Mensch mehr danach.“

Vor einigen Monaten veröffentlichten THE BOTTROPS mit „Hinterhofhits“ ihr drittes Album. Auffällig an diesem ist nicht nur die Tatsache, dass sich die Berliner im Vergleich zu den beiden eher vom Powerpop geprägten Vorgängern offenbar mehr dem Punkrock zuwenden, sondern auch der verstärkt auftretende, wütende Zynismus, der in einigen Songtexten zum Ausdruck kommt. Somit lag es nah, den Jungs aus der Mauerstadt ein paar Fragen zu stellen, die von Gitarrist und Namenspatron Johnny Bottrop in gewohnt nonchalanter Art beantwortet wurden.

[F] Auch nach fast sieben Jahren THE BOTTROPS wird euch vielerorts noch der „Ex-TERRORGRUPPE“-Stempel aufgedrückt. Ich kann mir vorstellen, dass das auf Dauer ganz schön nervt, aber trotzdem (oder vielleicht auch gerade deswegen) meine Frage: Wie viel TERRORGRUPPE steckt nach eurer persönlichen Meinung noch in den BOTTROPS?
[A] Könnte den ganzen Tag schreien, so genervt bin ich! Morgens renne ich auf die Straße und verprügel Passanten, die mir „TERRORGRUPPE, TERRORGRUPPE“ nachrufen. Die sollen lieber mal alle arbeiten gehen! Aber wenn mich einer von denen nach drei Ohrfeigen dann endlich auf ein Bier einlädt (oder zwei) erzähle ich ihm, dass wir diesen „Ex-TERRORGRUPPE“-Stempel doch nur ein bisschen aussitzen müssen, in 20 bis 30 Jahren kräht doch kein Mensch mehr danach. Aber natürlich stecken immer noch ca. 50% der TERRORGRUPPE-Gene in den THE BOTTROPS, was man ja auch bei einigen Melodien oder Satzfetzen raushören kann, zum Beispiel beim „Kannibale“, beim Opener „Die Maschine“ oder beim „HWEN“ auf der Platte davor. Aber wir klingen anders, wir recorden anders, Benno hat ´ne andere Stimme, eine andere Frisur und er hält die Gitarre anders…

[F] Ich habe die Frage gezielt gestellt, weil es mir so erscheint, als würdet ihr mit „Hinterhofhits“ wieder einen Schritt in die alte TERRORGRUPPE-Richtung zurückgehen, denn die Musik klingt wieder aggressiver und punkiger als auf den Alben zuvor. Habt ihr diesen Schritt bewusst vollzogen?
[A] Scheiße, wir haben´s schon wieder nicht geschafft, wie DIRE STRAITS zu klingen! Es liegt vielleicht an der Aufnahme, 90% der „Basic-Spuren“, also Drums, Bass und beide Gitarren wurden live und in einem Raum zusammen aufgenommen, deshalb klingt´s wohl mehr „härter, schneller, lauter“. Seltsamerweise hat die TERRORGRUPPE das so gut wie nie gemacht, da waren die Instrumente immer in verschiedenen Kabinen. Wir denken eigentlich beim Aufnehmen nie daran, wie denn das Endergebnis hinterher genau klingen soll, das schält sich erst so langsam beim Overdubben von Gesängen und beim Abmischen heraus. Ich glaube, keine Band auf der Welt geht mit ner festen Absicht ins Studio „so und so muss das jetzt hinterher ganz genau klingen“. Alle Musiker, die behaupten, solche Absichten wirklich auch umsetzen zu können, die lügen. Zu viele Details sind abhängig von Zufällen, Tagesform, Stimmungen oder von der genauen Aufstellung der Mikrofone, da machen schon 1-2 Zentimeter riesige Unterschiede aus, das ist eine Wissenschaft für sich. Ich bin froh, dass ich kein Recording-Engineer bin.

[F] Eine Konstante ist in Bezug zu den beiden vorherigen Alben allerdings geblieben: Die gewagte Kolorierung des Cover-Artworks! Hand aufs Herz – ist das die Folge jahrzehntelangen LSD-Konsums, oder heißt euer Haus- und Hof-Grafiker zufällig Stevie Wonder?
[A] Nee, der heißt Ray Charles! Und dabei haben wir uns diesmal echt Mühe gegeben, so viel Grau wie möglich unterzubringen, nächstes mal wird´s wieder bunter. Viiiiel bunter, versprochen!! Und überhaupt: Was spricht eigentlich dagegen, dass man die Farben der Platten auch schmecken und fühlen kann? Und die Töne sehen…

[F] Kommen wir mal auf die Texte des neuen Albums zu sprechen. Auch hier scheint ihr im Vergleich zu euren ersten beiden Veröffentlichungen ein wenig bissiger und direkter geworden zu sein, oder?
[A] Sagen wir mal wütender, wobei wir zuvor auch nicht gerade zufrieden und un-wütend waren. Es hat in den letzten drei Jahren einfach üble Entwicklungen hier in Berlin gegeben, die Stadt im Ausverkauf, Gentrifizierung, ganze Stadtteile zum Hostel für Easy Jet-Touristen, ganze Straßen als Handels- und Spekulationswaren… Ein Spielplatz für die Töchter und Söhne einer reichen internationalen Oberschicht, teilweise mit dem Geld, das die südeuropäischen Eliten ihren Ländern und Bevölkerungen abgegaunert haben. Davon wird gerade ganz Kreuzberg und Friedrichshain aufgekauft, Luxus-modernisiert, von seinen Bewohnern bereinigt, damit hippe Rich-Kids ein schönes Szene-Leben mit Papas Kohle genießen können. Das ist jetzt nicht irgendein abgedroschenes Klischee, selbst die Makler werden dir das bestätigen, die frisch umgewandelten Eigentumswohnungen werden mit dem abgewanderten Geld aus Südeuropa bezahlt.

[F] Ein ständig wiederkehrendes Thema auf „Hinterhofhits“ ist offensichtlich das Versagen von Mensch und Technik: In „Die Maschine“ fliegt der Menschheit der Fortschritt regelrecht um die Ohren, in „Ich sende“ kollabiert das Datennetz unter dem inflationären Handygebrauch kommunikationssüchtiger Benutzer, in „Menschenmaterial“ wird der Mensch zur unfähigen Maschine degradiert… Weshalb haben euch besonders diese Themen aktuell so sehr beschäftigt?
[A] Ursprünglich sollten die drei Stücke „Maschine – Menschenmaterial – Das Produkt“ sogar eine einzige große Punkrock-Oper werden. So ähnlich wie „THE WHO für Arme“, hahaaa… Das hätte einen schönen Gesamtzusammenhang ergeben: Mit Hilfe von unausgegorener Technik oder Irrsinns-Großprojekten werden auf dem Rücken von unterbezahlten Angestellten mit lausigen Arbeitsbedingungen immer mehr Sachen produziert, die eigentlich niemand wirklich braucht. Damit die ganze Irsinnsmaschinerie weiter wächst.

[F] Zu „Die Maschine“ habt ihr darüber hinaus auch ein schön trashiges Video gemacht (siehe hier: http://www.youtube.com/watch?v=ANmLUOBQTPc). Wo um alles in der Welt habt ihr denn dieses Bildmaterial aufgetrieben?
[A] Das ist Internet-Trash aus schlechten amerikanischen C-Filmen der 50er Jahre, aber haben wir gar nicht selber aufgestöbert, das ist ein Fan-Clip von einem alten Bekannten und Wegbegleiter aus den Anfangstagen der BOTTROPS.

[F] Während bei den meisten der Texte die Message klar rüberkommt, wirft das Stück „Einer von uns“ dagegen Fragen auf. Die Strophen klingen so, als würdet ihr eure Facebook-Freundesliste aufzählen, während ihr euch im Refrain lediglich zu der Kernaussage verleiten lasst, dass es doch „einer von uns schaffen“ müsste. Also bitte nochmal für alle BOTTROP-Nerds, die immer alles ganz genau wissen wollen: Wer soll hier was schaffen? Und warum?!
[A] Es ist eine – zugegebenermaßen leicht klischeemäßige – Aufzählung von trendy Kindernamen, sortiert nach Schichten und Einkommen: Die Hartz IV-Kinder Mandy und Kevin treffen auf die gutbürgerlichen Nachkommenschaft um Malte-Lennart und Fenja-Maike, das Ende des Liedes bleibt offen, wer schafft´s denn nun wirklich? Tipp: Wirklich schaffen tut´s dann hinterher keiner so richtig. Mandy und Kevin werden irgendwann wegen „ADS-Hyperaktivität“ von den Schulpsychologen ins Wachkoma sediert, und wenn das nicht funktioniert, klauen sie dein Auto und verprügeln deine Familie. Malte-Lennart und Fenja-Maike werden von ihren karriere- und klassenbewussten Eltern so sehr mit Zusatzkursen und Speed-Präparaten angefüttert, dass sie dann als Teenager zwangsläufig zu Totalverweigerern mutieren. Und als geläuterte Erwachsene schmeißen sie dann Mandy und Kevin aus ihrer Wohnung – hmm, so betrachtet doch 1:0 für Malte-Lennart & Fenja-Maike. Das ist aber nur mein privater Tipp, im Text wird das gar nicht ausgesprochen.

[F] Nochmal zu einem etwas ernsthafteren Thema: Mit „Go2Hell“ habt ihr auch einen Text über Gentrifizierung geschrieben. Die Umstrukturierung ganzer Stadtteile und die damit einhergehende Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten ist ja kein reines Berliner Problem, sondern hat sich in den letzten Jahren in nahezu sämtlichen westeuropäischen Metropolen eingeschlichen. Was dabei berlintypisch ist, ist die sogenannte „Schwabendebatte“, die dieses komplexe Thema in erster Linie auf den Zuzug einer speziellen Personengruppe reduziert und dabei die stadtpolitischen Aspekte dieser Entwicklung gerne ausblendet. Müssten im Zuge dieser Debatte nicht vielmehr die Versäumnisse in der Politik und Stadtentwicklung kritisiert sowie die Maklerbranche und Großinvestoren in die Verantwortung genommen werden, anstatt das Problem rhetorisch auf eine Gruppe Zugezogener mit albernem Akzent abzuwälzen?
[A] Also, mit dem albernen Akzent hast du natürlich völlig Recht! Darüber hinaus wird sogar gemunkelt, dass sich andere Zugezogene, wie z.B. Friesen, Sachsen und ehemalige Einwohner von Ostwestfalen, diesen Akzent zugelegt haben, um kreditwürdiger zu erscheinen. Nee, aber im Ernst, in Berlin ist das Wort „Schwabe“ einfach mal nur ein Synonym für zugezogene Westdeutsche aus reichem Elternhaus, ein Schimpfwort auf hohem Abstraktionsniveau. Es macht Spaß, mit diesem Wort um sich zu schmeißen, sogar Punks, die mal vor zig Jahren aus Tübingen zugezogen sind, verwenden das. Alles und jeder, der in den letzten fünf Jahren aus südwestlich von Potsdam kommt, viel Geld hat und sich in Vierteln breit macht, die vorher von ganz anderen (Szene-)Menschen bewohnt waren, der ist halt irgendwie auch so ein „Schwabe“. Aber du hast natürlich Recht …. es geht hier weder um Schwaben oder Ostwestfalen, auch nicht um Easy Jet-Touristen oder die Söhne und Töchter von reichen Südeuropäern, sondern um den Ausverkauf der Stadt und die Verdrängung ihrer Bewohner durch Luxuslofts, Ferienwohnungen und Mietsteigerungen, die sich kein normal Sterblicher mehr leisten kann.

[F] Immerhin scheinen die Berliner Exil-Schwaben mittlerweile zurückzuschlagen: Jüngst wurde auf das Denkmal von Käthe Kollwitz auf dem Kollwitzplatz ein Spätzle-Attentat verübt. In einem Bekennerschreiben drohte eine Aktivistengruppe namens „Free Schwabylon!“ damit, den gesamtem Prenzlberg unter einer „Spätzleschicht schwäbischer Wut“ verschwinden zu lassen. Droht Berlin eine neue Form von Lebensmittel-Terrorismus? Und werden sich die Kreuzberger, die in jahrelangen Schlachten gegen die Friedrichshainer Rivalen an der Oberbaumbrücke ja immerhin viel Kampferfahrungen im Umgang mit fliegenden Nahrungsmitteln gesammelt haben, in den Konflikt einmischen?
[A] Wie meinst du? Sollen wir etwa mit Spätzle zurückschmeißen oder was? Aber durchaus passende Frage zur richtigen Zeit: Letzte Woche gab´s einen kleinen Skandal wegen „Schwaben Raus“- und „Kauft nicht bei Schwaben“-Graffitis. Der regierende Bürgermeister war schockiert und betroffen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Sprüche von Schwaben selber verfasst wurden, um sich erfolgreicher als Opfer zu stigmatisieren. Nächste Woche sprühen sie dann was von der „Endlösung der Schwabenfrage“. Das ist alles natürlich nur eine alberne Posse und ein lächerlicher Nebenschauplatz, die wirkliche Frage lautet „Wem gehört die Stadt?“.

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Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.