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NICK & JUNE – Von Konzeptalben, Demut und großen Zielen

Es ist laut in der Pooca Bar in Hamburg. Nicht, weil besonders viele Menschen hier sind, nein, die Hintergrundmusik übertönt fast das gesprochene Wort, das Nick von NICK & JUNE und ich aneinander richten. Gemütlich ist es trotzdem – und das nicht nur, weil wir uns mittlerweile doch schon fast kennen, seit dem letzten Interview sind allerdings auch wieder drei Jahre vergangen. Allein deshalb hat es sich gelohnt, mal zu hören, was seitdem alles passiert ist und wie man eigentlich auf die Idee kommt, ein Konzeptalbum zu schreiben.

Ihr habt euch relativ lange Zeit mit dem zweiten Album gelassen, was in eurem Genre eher ungewöhnlich ist. Wie kam das?
Das hat einige Hintergründe. Zum einen waren wir die komplette Zeit auch viel live unterwegs, fast schon eine never ending Tour, pro Jahr spielen wir so um die 100 Konzerte. Währenddessen haben wir schon begonnen, das neue Album vorzuproduzieren und die Songs zu arrangieren. Das hat sich immer länger gezogen, das Album war zwar irgendwann fertig, aber es ist ja oft so, dass das Artwork noch fertig werden muss, ein, zwei Videos gedreht werden. Dann haben wir auch das Label gewechselt, sind jetzt bei einem etwas größeren. Release war eigentlich für November geplant, was natürlich auch namentlich gut gepasst hätte. Aber wir sind zur Sicherheit noch ein paar Monate nach hinten gegangen, so wurden es dann doch über drei Jahre.

Seit der EP „Once in a life“ seid ihr bei AdP. Merkt ihr den Unterschied zu Bullet/Soulfood? Woran?
Sagen wir mal so: In der Hinsicht, dass AdP jetzt wirklich ein kleines Label mit Büro und festen Angestellten ist, die praktisch tagtäglich Plattenlabelsachen machen, während es bei Bullet eher ein Proforma-Label war, bei einem guten Freund von uns, der jobmäßig eigentlich was anderes macht, eher im Tourmanagement tätig ist. Das ist natürlich für uns wieder ein kleiner Schritt weiter.

Im Gegensatz zu vielen anderen habt ihr noch eine „echte“ Homepage. Warum beschränkt ihr euch nicht auf die großen sozialen Netzwerke?
Ich mag einfach die klassischen Homepages, auch unsere gefällt mir jetzt richtig gut. Da geht es mir auch um eine besondere Übersichtlichkeit. Homepages kannst du eben so gestalten, wie du es für sinnig hältst, es gibt keine Vorgaben. Sicherlich ist es auch wichtig, auf Facebook, Youtube und Instagram vertreten zu sein. Homepages sind aber für den allgemeinen Überblick immer noch das Beste. So sieht man von Anfang an, was es wo gibt und kann dann entscheiden, was man nun genau wissen will.

„Konzeptalbum“ klingt immer etwas nach den 70ern. Wie kamt ihr auf die Idee, ein ganzes Album über das Leben des „November Boy“ zu machen?
Das war tatsächlich auch nicht geplant, es hat sich im Laufe der Arbeit am Album so ergeben. Es war ja so, dass der komplette Text des Albums zusammenhängend entstanden ist, auch gar nicht mit dem Hintergrund, daraus jetzt Musik zu machen. Es war eine Geschichte, eine Art von Novelle oder Essay, die entstanden ist, irgendwie da war. Dann kam die Frage auf, kann man das jetzt auch lyrisch und mit Songstrukturen machen? Dann wurde es immer mehr ein Prozess, die Kapitelform entwickelte sich, und es wurde alles mehr oder minder Musik. Irgendwann hat es sich nicht mehr anders machen lassen. Es fühlte sich gut an und wir dachten „Hey, das müssen wir jetzt machen!“
Prinzipiell geht es mir aber ähnlich, wir dachten auch, ob das jetzt nicht ein bisschen überkandidelt ist. Aber eigentlich fanden wir es einfache cool und geil. Dann ist es so entstanden, aber geplant war es tatsächlich nicht.

Ihr seid noch variantenreicher geworden, als ihr es ohnehin schon wart. Liegt das nur an den neu hinzugekommenen Musikern, oder habt ihr euch auch sonst musikalisch verändert, seid erwachsener geworden?
Ja, bestimmt. Durch Bass und Schlagzeug entstehen einfach neue Möglichkeiten. Auf der anderen Seite sehen wir es auch so, dass keiner in der Band zu 100% auf sein Instrument fixiert ist. Im Proberaum überlegen wir uns fernab von irgendwelchen Instrumenten, was braucht der Song, wonach fühlt er sich an? So haben wir das Album dann auch arrangiert, es ist ja auch sehr bläserlastig geworden. Wir versuchen immer, sehr songaffin zu arbeiten. Es ist sicher so, dass wir aus dem klassischen Singer/Songwriter-Korsett ausgestiegen sind, effektreicher und sphärischer geworden sind. Das ist sicherlich eine Art von „Erwachsenwerden“.

Ist es mit den neuen Musikern leichter oder schwieriger geworden zu proben?
Sowohl als auch, wahrscheinlich. Im Grunde überwiegt definitiv das Positive. Ich möchte das auch nicht mehr missen. Man hat ja auch immer noch die Möglichkeit, einen Song einfach mit einer Gitarre zu arrangieren. Aber auch die neu hinzugekommenen Möglichkeiten lotet man gerne aus.

Euch gelingen immer wieder Textzeilen, die sich in mein Hirn brennen und für lange Zeit nicht mehr heraus wollen. Wie läuft bei euch der Prozess des Songwritings? Gibt es erst die Lyrics, erst die Musik, oder entsteht beides gleichzeitig?
Der Text war bei diesem Album tatsächlich schon komplett vorher da. Aus der Idee heraus, dass es zunächst eine Prosageschichte war. Ansonsten ist es aber bei uns so, dass mal zuerst was Musikalisches, mal was Rhythmisches, mal was Lyrisches passiert. Aber bei diesem Album ist auch ein großer Fokus auf den Text gelegt, eben auch durch den zeitlichen Ablauf. Wobei ich Texte auch so immer besonders wichtig finde.

Zwischendurch habt ihr an der Filmmusik zu „About a girl“ gearbeitet. Was unterscheidet Filmmusik eurer Meinung nach von einem „normalen“ Album?
Die Herangehensweise war für uns im ersten Moment die gleiche. Denn den Song („Home is where your heart is“) als solchen gab es da schon. Es war einer der ersten neuen Songs, die entstanden sind. Aber wir waren im stetigen Austausch mit dem Regisseur und auch dem Sounddesigner und haben uns oft getroffen und Szenen angeschaut. Für einen Regisseur sind ganz andere Sachen relevant, etwa: Wie schnell ist der Song? Wann ist in dem Song eine Pause? Wann wird gesungen, wann ist er instrumental? Dinge, die einen als Musiker erstmal kalt lassen. Aber für den Filmemacher waren diese Dinge extrem wichtig. Es standen zwei Songs zur Auswahl, und der eine hat dann einfach besser in die Szene und den Schnitt gepasst. Als reiner Musiker beachtest du so etwas überhaupt nicht. Das ist so, als ob du ein Musikvideo drehst und die Musik erst im Nachhinein dazu schreibst. Für uns war es total lustig und interessant, so eine Herangehensweise mal zu erleben.

Und ihr seid vom Regisseur angesprochen worden?
Ja, wir sind angesprochen worden. Er kannte unsere Musik und hat dann angerufen, dass unsere Musik super zu seinem Film passen würde. Habt ihr gerade was auf Lager?

Beim letzten Interview habt ihr ein paar Wünsche geäußert, wen ihr gerne mal supporten würdet, z.B. BON IVER und EDWARD SHARPE. Hat etwas davon schon geklappt? Oder haben sich die Wünsche geändert und sind vielleicht auch gar nicht so wichtig?

Hat beides leider nicht funktioniert. So wichtig ist es wahrscheinlich tatsächlich nicht, wobei… es wäre natürlich absolut geil. BON IVER zählt zu meinen ganz großen Lieblingen, da würde ich wohl auch nach Australien fliegen, um den mal supporten zu können. Das wäre großartig. EDWARD SHARPE mag ich auch sehr gerne, also würde ich das immer noch so unterschreiben.

Es fällt auf, dass ihr euch immer voll ins Zeug legt, wenn ihr live auftretet, egal, ob 100 oder 10 Menschen da sind. Woher nehmt ihr diese Power und diese Motivation?
Es ist ein ganz klarer Fokus darauf, dass man liebt, was man macht. Die Leidenschaft, die Texte, die Ideen zu präsentieren. Und als kleiner Indiemusiker sollte man da auch mit einer gehörigen Portion Demut rangehen. Selbst wenn beim Konzert nur sieben Leute da sind, wie damals im Grünen Jäger, muss man sich sagen, wir sind in Hamburg, es kennt einen eigentlich keine Sau, und es kommen dann eben doch sieben Leute und gucken sich dein Konzert an. Und die finden es dann toll, nehmen sich vielleicht eine CD mit und kommen das nächste Mal wieder. Jedes Konzert ist schön, besonders. Wir haben trotz allem die Möglichkeit, auch bei unserem extrem geringen Bekanntheitsgrad und irgendwie auch auf einem niedrigen Niveau, zu touren und Platten zu veröffentlichen und sogar einigermaßen davon zu leben. Mal besser, mal schlechter, aber ich mache seit geraumer Zeit auch nichts anderes mehr, von dem einen oder anderen kleinen Nebenjob abgesehen. An sich lebe ich von der Musik, und das ist ein Privileg. Natürlich sind die Gigs auch wichtig, wo dann mal 80 oder 100 Leute kommen, im Süden, wo wir etwas bekannter sind und dann auch mal ein bisschen was verdienen. Aber man sollte sich immer wieder sagen, ich mache das, was ich liebe und will. Wie geil ist das bitte?

Auch ist an euch besonders, dass ihr euch immer noch Zeit nehmt, um auch persönliche Nachrichten zu beantworten und Kontakt zu halten. Habt ihr dafür noch Zeit, oder ist das eher Stress?
Nee, dafür haben wir absolut noch Zeit. Ich bin da ein bisschen geprägt und auch anders, da ich vor ein paar Jahren Mädchen für alles auf Tour von ITCHY POOPZKID war. Und die spielen mittlerweile ja auch Konzerte vor 500 Leuten und stehen jedes Mal am Merchshop, nehmen sich die Zeit, mit den Leuten zu quatschen, Bier zu trinken, Fotos zu machen oder wie auch immer. Das hab ich damals schon immer bewundert. Nach zwei Stunden auf der Bühne, total ausgepowert, das finde ich super. Davon sind wir natürlich noch meilenweit entfernt, aber klar, wir bekommen auch Mails und Anfragen, manchmal fragen Menschen auch nach Texten oder Gitarrenakkorden, und da setze ich mich dann auch mal fünf Minuten hin und schreibe die Akkorde auf. Weil ich denke, wie geil ist das, da sitzt dann jemand auf der Bettkante und spielt deinen Song.

Zudem zitiert ihr immer noch nahezu alle Rezensionen, die ihr erhaltet. Ist das auch Wertschätzung des Schreibers, also eine Art Gegenseitigkeit?
Auf jeden Fall. Ich finde immer sehr spannend an Rezensionen, dass jeder Schreiber einen anderen Ansatzpunkt hat. Die Reviews kommen aus den unterschiedlichsten Ecken und Perspektiven, die man selber gar nicht so hat, die aber sehr interessant sind. Das zeigt auch immer etwas Lebhaftes. Man macht selbst Musik, fühlt etwas, denkt etwas, jemand anderes nimmt das an, denkt drüber nach, empfindet es. Von daher gesehen macht das auch immer Türen auf für potentielle Hörer. Ich finde das wahnsinnig spannend. Es werden Aspekte, Textzeilen, Empfindungen herausgegriffen. Vor ein paar Tagen wurden wir beispielsweise als Singer/Songwriter-Screamo bezeichnet, was ich recht treffend fand. Musik lebt immer auch von der Interaktion mit der Gesellschaft, dem Einzelnen, dem Zeitgeist.

Jetzt tourt ihr erstmal ausgiebig. Gibt es dennoch schon Überlegungen zu einem neuen Album?
Es entstehen natürlich immer neue Songs, neue Ideen, es ist einiges in der Schublade. Ich kann noch gar nicht sagen, in welche Richtung es gehen wird, aber es wird wieder ganz anders klingen. Ich bin auch der Meinung, dass jedes Werk für sich stehen muss, eine eigene Identität hat. Aber auf der Tour spielen wir jetzt noch nichts Neues. Aber irgendwann kribbelt es sicherlich wieder und es werden sich die neuen Songs so langsam reinschleichen.

Simon-Dominik Otte

Mensch. Musiker (#Nullmorphem). Schauspieler (#BUSC). Rezensent (#blueprintfanzine). Come on, @effzeh! AFP-Fan. (#Amandapalmer). Lehrer. Und überhaupt. Und so.