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ERSTAUSGABE – Geschichten vom Bordstein

Zunächst einmal: Die Namenswahl dieses Albums halte ich für ziemlich unglücklich, dürften doch viele potentielle Hörer bei dem Titel zunächst an das MUFF POTTER-Überalbum „Bordsteinkantengeschichten“ denken. Durch das Wecken solcher Assoziationen tut man sich als vermeintlich „kleine“ Band sicherlich keinen Gefallen, wenngleich ERSTAUSGABE auf „Geschichten vom Bordstein“ keinen Emo-, sondern vielmehr typischen Deutschpunk spielen und somit genau genommen eine andere Spielwiese beackern. Mit einem deutlich rockigen Unterton erinnern sie mal an frühe DRITTE WAHL („Freiheit“, „Gute Zeit“), mal an den typischen Nix Gut-Sound, wie ihn Bands wie S.I.K. oder LAK rund um die Jahrtausendwende herum gespielt haben. Die große Stärke von ERSTAUSGABE liegt zum einen darin, dass ihr Sänger über ein perfektes Punkrock-Organ verfügt, und zum anderen, dass sie offensichtlich ein sehr gutes Näschen für eingängiges Songwriting haben. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, dass ich mindestens einem Drittel der insgesamt 15 Lieder ohne Umschweife den Stempel „Ohrwurm“ verpassen würde – unabhängig davon, ob es sich um eine Pogo-Nummer wie „Flucht nach vorn“ oder ein melancholisches Stück wie „Scherbenmeer“ handelt. Dass der gute Gesamteindruck des Albums im Endeffekt leider doch noch ein wenig verwässert wird, liegt vor allem an zwei Ausrutschern, die die Band ausgerechnet an erster und an letzter Stelle der CD platziert hat: Da wäre zum einen der Opener „Platzhirsch“, der einem durch seinen peinlichen Selbstdarsteller-Text und einen jaulenden 80er-Jahre-Gitarreneffekt die Schamesröte ins Gesicht treibt. Und zum anderen die abschließende Stadionrock-Ballade „Zeit zu gehen“, die wohl ausschließlich die Feuerzeugschwenker-Fraktion auf TOTE HOSEN-Konzerten ansprechen dürfte. Nichtsdestotrotz ist „Geschichten vom Bordstein“ ein überraschender Achtungserfolg, an den es anzuknüpfen gilt, um eines Tages möglicherweise ganz weit oben in der Deutschpunk-Liga mitzuspielen.

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.