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© Dario Dumancic

Elbjazz 2018 (Hamburg)

Donnerstag
Jeder solle sich seinen eigenen Gewitter-Sound ausdenken und nun zuerst die Ost, nun die Süd, nun die West und nun die Nordkurve. Und nun noch mal alle zusammen!
Eine etwas ungewöhnliche Anmoderation für ein Konzert, aber so ganz unpassend dann doch nicht. Denn es handelt sich um das Eröffnungskonzert des diesjährigen Elbjazz-Festivals, das bereits einen Tag vor dem eigentlichen Festival im großen Saal der Elbphilharmonie stattfand, und bei dem angekündigten Orchester ging es keineswegs um konventionelle Musik, sondern um das ANDROMEDA MEGA EXPRESS ORCHESTRA (AMEO), das Stile und Rhythmen schneller wechselt als der HSV seine Trainer. Zudem heißt ihr letztes Album „Vula“, ein Wort aus der Sprache Tumbuka, das so viel bedeutet wie „Sturm und Gewitter“.
Sturm und Gewitter ließen zwar noch einen Tag auf sich warten, aber die Stücke vom AMEO waren so bunt und breit gefächert wie die Kleidung der Musiker. Zwischen Electronica, Afro-Funk, Neuer Musik, Avantgarde, Filmmusik und (vor allem im letztem Stück) Jazz wurde alles zumindest kurz angeschnitten, wieder verworfen und durch eine neue Idee ersetzt. Dass die Musiker Meister ihres Faches sind (neben dem AMEO wirken sie u.a. bei THE NOTWIST, EFTERKLANG, KENNY WHEELER und TONY ALLEN mit), steht außer Frage, allerdings führten die vielen Umbrüche dazu, dass der eine oder andere Zuschauer gedanklich abschaltete, während andere ihre Begeisterung kaum in Worte fassen konnten. Während meine Sitznachbarin im Minutentakt ihr Handy kontrollierte, kommentierte der ältere Herr hinter mir das Konzert am Ende mit den Worten „Was für eine Wucht!“
Und definitiv ein guter Einstieg ins diesjährige Elbjazz-Festival!

Freitag
Der zweite Tag bereitete den Festival-Besuchern leichte Sorgen. Der Wetterdienst hatte für den frühen Abend Unwetter angekündigt, doch schwül-heißes Wetter mit falschen Vorhersagen war man in Hamburg bereits seit einer Woche gewohnt. Sollte man prophylaktisch doch ein Regencape einpacken und die Sonnencreme stattdessen zu Hause lassen? Wir blieben optimistisch und ließen uns auch von den dunklen Wolken in der Ferne nicht abschrecken. Notfalls in der Schiffbauhalle oder den kleinen Büdchen unterstellen – vorausgesetzt, der Platz reicht aus.
elbjazz18-omerkleinDoch die dunklen Wolken zogen zunächst von dannen, und so starteten wir mit dem OMER KLEIN TRIO auf der NDR Info Bühne. Das Trio um den Pianisten Omer Klein wollte ich mir bereits auf dem letztjährigen Reeperbahn-Festival ansehen, aber die vielen Bands ließen mich dann doch ein anderes Konzert auswählen. Heute stand dem Trio aus Israel aber nichts mehr im Weg, und es lohnte sich allemal. Dabei hat Omer Klein nicht nur optisch eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Landsmann YARON HERMAN, auch musikalisch bewegen sich beide Trios in ähnlichen Richtungen des Modern Jazz. Eingängig zwar, aber niemals belanglos, und bevor es allzu vertrackt wird, setzt man lieber auf einen guten Groove. Die Resonanz des Publikums war so gut, dass Omer Klein am Ende ein Bühnen-Selfie von seinem Trio vor der vollen Schiffbauhalle machte.
Wenn man sich beim Elbjazz dazu entschließt, das Werftgelände von Blohm + Voss wieder zu verlassen, sollte man sich einen ausgefeilten Plan jenseits der Elbe zurechtgebastelt haben, denn die Überfahrt ist nicht selten mit großen Wartezeiten verbunden. Doch heute hatten wir Glück, der Shuttle mit der Fähre ließ nicht lange auf sich warten, was sicherlich auch daran lag, dass man mittlerweile auf größere Schiffe setzt als auf die kleinen Barkassen der ersten Jahre. Damit geht zwar ein wenig spröder Charme verloren, aber mit den mehrstöckigen Fähren konnten dafür jedes Mal mehrere Hundert Leute auf einmal befördert werden.
Als es auf der Fahrt über die Elbe plötzlich anfing zu regnen, fühlte sich das zunächst sehr angenehm an. Nach einem nahezu niederschlagsfreien Mai glich dies beinahe dem plötzlich eintretenden Regen in dem Film „Die Wüste lebt“. Und das wohlgemerkt in Hamburg!
Doch plötzlich entwickelten sich die anfänglichen Tropfen ziemlich schnell zu einem gussartigen Platzregen, so dass wir die 500 Meter vom Anleger Sandtorhöft bis zur Elbphilharmonie nicht hätten zurücklegen können, ohne bis auf die Unterhose durchzunässen. Also hieß es erstmal unterstellen, bis der Regen wieder nachlässt. Am Eingang der Elbphilharmonie stellte sich jedoch heraus, dass das Printticket zunächst am Ticketschalter hätte umgetauscht werden müssen – in Anbetracht der Verspätung lohnte sich das nicht mehr. Dann ab in den Kleinen Saal, wo das PABLO HELD TRIO just begonnen hatte, denn dafür brauchte man ja laut Info keine Reservierung. Doch ganz so einfach ging es auch nicht, man benötige dafür ein Ticket aus dem Besucherzentrum, wie man uns aufklärte. Also Sprint durch den Regen zum Besucherzentrum: Tür zu. Nächster Sprint zum Infodesk: wie kommen wir denn nun in den Kleinen Saal zu PABLO HELD? Das ginge nur über das Besucherzentrum – allerdings hätte man die Tickets dort spätestens eine halbe Stunde vor Konzertbeginn abholen müssen. Mist! Der Regen hatte sich inzwischen wieder verstärkt, und so beschlossen wir, zunächst im Infozelt zu verweilen. Doch auch dort wurde man vertrieben: wegen des Gewitters zu gefährlich! So landeten wir schließlich vor dem Parkhaus der Elbphilharmonie, wo sich immer mehr Leute unterstellten. Und wo sich plötzlich auch Musiker vom EUROPEAN JAZZ LABORATORY einfanden, die am frühen Abend auf der HFMT-Bühne gespielt hatten, und nun ein außerplanmäßiges, improvisiertes Konzert direkt vor dem Parkhaus derelbjazz18-elphiElbphilharmonie gaben (Video). Dazu tanzten Leute barfuß im Regen, während für Hotelgäste, die ins Parkhaus wollten, ein Spalier gebildet wurde und gleichzeitig am dunklen Himmel Blitze zuckten. Das anarchistische Treiben versuchte ein Mitarbeiter des 5-Sterne-Hotels schließlich zu unterbinden, doch seine Versuche gingen in einem großen Pfeifkonzert unter. Das nennt man wohl zivilen Ungehorsam – und zugleich war es eine Art Entschädigung für die ausfallenden Konzerte und das schlechte Wetter. Denn soeben erfuhren wir, dass das Programm auf dem Gelände von Blohm + Voss vorläufig eingestellt war, und so entschlossen wir uns, mit dem Bus-Shuttle zur MS Stubnitz zu fahren, um den Abend im Bauch des ehemaligen DDR-Hochseeschiffes zu verbringen. Dort spielten zunächst MONKEY PLOT aus Norwegen, die jedoch nur wenig mit Jazz zu tun hatten. Gut möglich, dass dies dem Wechsel der Instrumente geschuldet ist, denn seit Christian Winther von der Akustikgitarre an die E-Gitarre gewechselt ist und Magnus Nergaard seinen Kontrabass gegen einen verzerrten Bass eingetauscht hat, hat sich auch die musikalische Ausrichtung vom Free Jazz entfernt und in Richtung Post-Rock im Stile von GASTR DEL SOL und TORTOISE entwickelt. Recht unspektakulär im Songwriting zwar, aber dafür sehr einnehmend und verträumt – für Improvisierungen eine ordentliche Leistung.
Den Abend schlossen BOTTICELLI BABY mit einem Mix aus Rockabilly, Swing, und Balkan-Beat ab, wobei vor allem Kontrabassist, Sänger und Schnauzbartträger Marlon Bösherz mit seinem Ruhrpott-Akzent den perfekten Frontmann abgab. Dass er nebenbei auch als Schauspieler und Performance-Künstler tätig ist, merkte man ihm an, und es unterstreicht zugleich die Qualität von BOTTICELLI BABY als Showband, wobei das Können und die Professionalität seiner Mitmusiker keineswegs unter den Tisch fallen sollten. Ein schöner Abschluss des Freitagabends, der fast vergessen ließ, dass ein Teil des Tages im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fiel.

Samstag
Dass sich das gestrige Unwetter wieder verzogen hatte, stellte man auch an einer anderen Stelle fest: Samstagnachmittag hieß es eine Stunde lang Schlange stehen, wenn man mit der Fähre übersetzen wollte. Da es bis zum Abend trocken blieb, entschlossen wir uns, heute auf dem Werftgelände zu verweilen. Wegen der verzögerten Überfahrt bekamen wir von DJANGO BATES und der HR BIGBAND nur noch mit, dass sie ihr Set mit einem Medley abschlossen.
Weiter ging es für uns an der zweiten Open Air-Bühne „Am Helgen“, wo die MAMMAL HANDS aus Großbritannien mit zugänglichem Modern Jazz für schöne Klänge sorgten. Musikalisch vergleichbar mit dem OMER KLEIN TRIO, YARON HERMANN oder auch den später spielenden GOGO PENGUIN steht bei dem Trio aus Manchester jedoch ein Saxophon als melodietragendes Element im Mittelpunkt. Dass die MAMMAL HANDS nicht nur Jazzfans begeistern, ist daran erkennbar, dass sie im August beispielsweise auch auf dem Indie-Festival Alinae Lumr spielen dürfen.
elbjazz18-crookersStilistisch komplett anders ging es bei THE COOKERS in der Schiffbauhalle weiter. Sieben Jazzveteranen aus den Staaten, deren Geburtsjahr zum Teil noch vor Beginn des zweiten Weltkrieges liegt und die ihre Wurzeln im Hard Bop haben, traten stilbewusst mit Sakko und Schlips auf und rückten fürs Solo einen Schritt nach vorne. Alte Schule und ein bisschen auch ein Blick in die Vergangenheit.
Mit seiner heiseren Stimme erinnerte Marcus King an eine bereits verstorbene Legende – JOE COCKER. Dass der Namensgeber der MARCUS KING BAND parallel dazu auch noch fantastisch Gitarre spielt, ließ noch an eine weitere bereits verstorbene Legende denken: den Bluesgitarristen GARY MOORE. Doch am beeindruckendsten dabei ist, dass Marcus King soeben erst 22 Jahre alt geworden ist. Sein Talent haben inzwischen schon einige erkannt, aber die Zeichen stehen gut, dass aus dem jungen Herren aus South Carolina selbst einmal eine Legende werden könnte.
Bei WEB WEB in der Schiffbauhalle kamen anschließend die Jazzfans auf ihre Kosten, denen das Elbjazz insgesamt zu mainstreamig ausgerichtet ist. Denn hier blieb noch genügend Platz für Improvisationen und vertrackte Grooves, zu denen nicht jeder einen Zugang fand. Dafür wurden in ihren Stücken auch afrikanische Skalen verarbeitet und Ausflüge in Richtung Psychedelic gewagt. Überraschend, dass WEB WEB mit ihrem Debütalbum bei dem Münchener Label Compost Records gelandet sind, das hauptsächlich elektronisch ausgerichtet ist.
elbjazz18-ggpVon WEB WEB ging es weiter zu GOGO PENGUIN. Dass die drei Herren eine besondere Verbindung zu der Stadt an der Elbe hat, bekräftigte Kontrabassist Nick Blaka in einer Ansage zwischen den Songs. In Hamburg kam vor vier Jahren der Deal mit Blue Note Records zustande, einem der bedeutendsten Jazz-Labels weltweit. Seitdem machten die jungen Herren regelmäßig in Hamburg Halt, wobei die Bühnen von Auftritt zu Auftritt immer größer wurden. Heute sah ich das Trio erstmals auf einer Open Air-Bühne, und der Sound war gewaltig. Das ist gerade bei einer Band wie GOGO PENGUIN besonders wichtig, die ihre Musik zwar analog erzeugen, aber elektronisch klingen lassen. Zwar kann man in Hamburg damit rechnen, dass die Band aus Manchester bereits auf eine eingeschworene Fangemeinde bauen kann, aber ich sah während ihres Auftrittes doch einige Zuschauer mit heruntergeklappter Kinnlade staunen. Es war wirklich beeindruckend. Kurz nach dem Elbjazz wurde angekündigt, dass die Pinguine bereits im Oktober wieder in Hamburg gastieren – diesmal im Gruenspan.
Als bei KAMASI WASHINGTON wieder leichter Regen einsetzte, beschlossen wir, uns auf den Rückweg zu begeben – bevor es an den Elbfähren wieder zu langen Warteschlangen kommt.
Auch wenn das Wetter am Freitag einen zwischenzeitlichen Abbruch des Festivals veranlasste, kann man über das Elbjazz am Ende die zutreffenden Worte von Michael Wollny zitieren: „Das Elbjazz ist mittlerweile in Hamburg angekommen und nicht mehr aus der Hansestadt wegzudenken.“
In diesem Sinne – wir sehen uns wieder in 2019!