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CLICKCLICKDECKER – Lasst uns Positives singen!

Es ist für mich immer noch etwas Besonderes, wenn ich die Möglichkeit erhalte, Bands zu interviewen, die mir persönlich, aus den verschiedensten Gründen, viel bedeuten. Das ist bei CLICKCLICKDECKER nicht anders, obwohl ich Kevin und Olli nun schon ein zweites Mal befragen durfte. Dennoch bin ich aufgeregt wie ein kleines Kind und rauche vor dem Knust, in dem wir uns vor dem letzten Konzert der Tour der Jungs treffen wollen, noch die ein oder andere Zigarette. Möchte ich hier nicht weiterempfehlen. Weiterempfehlen möchte ich aber Vieles von dem, was mir die beiden dann so erzählt haben. Schön war’s allemal. Doch lest selbst, was Kevin Hamann und Oliver Stangl mir so zu berichten wussten:

Ihr habt euch mit dem neuen Album wieder ein bisschen Zeit gelassen. Woran liegt es, dass ihr im Vergleich doch relativ viel Zeit für ein Album braucht?
Oliver: Ganz einfach: Job, Familie, das alles braucht auch Platz. Mir geht es jedenfalls so, dass ich froh bin, dass das hier überhaupt geht und bin sehr glücklich damit.

Wie lange habt ihr jetzt aufgenommen?
Kevin: Das ging über mehrere Zeiträume. Wir waren insgesamt wieder viermal im Studio, über einen Zeitraum von drei Jahren insgesamt.
Oliver: Genau, ich glaube, so zwei Jahre aufnehmen. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir überhaupt angefangen haben mit den neuen Sachen nach dem letzten Album. Entstanden ist es dann eigentlich, inklusive Mischen, ziemlich genau innerhalb von zwei Jahren.

Es gab also keine feste Zeit, in der ihr gesagt habt, jetzt spielen wir das Album ein und dann ist’s auch gut?
Oliver: Nee, es war uns nur klar: „Irgendwann muss es fertig sein!“, und das haben wir uns dann auch gesetzt. Ab da war dann ein klarer Zeitplan da. Aber erst, als uns klar war, dass wir auch auf die Zielgerade gehen können.

Ich finde eure Albumtitel immer sehr ansprechend. Insbesondere „Am Arsch der kleinen Aufmerksamkeiten“ ist der lautmalerischste bis jetzt. Wo kommt dieser Titel her?
Kevin: 
Wo kommt der her? Keine Ahnung. Aus meinem Kopf, klar. Er war einfach da.

In eurer Presseinfo heißt es: „In einer Welt, in der alle immer lauter schreien“ zum neuen Album. Was genau ist damit gemeint? Wer oder was wird immer lauter? Aus der Schule kann ich berichten, dass ich das Gefühl habe, dass auch die Schüler immer lauter untereinander und miteinander reden.
Kevin: 
Das stimmt. Das fällt mir in der Schule auch auf. Die Beschwerden werden immer größer. Es ist heutzutage auch viel einfacher, sich zu beschweren durch die digitalen Verstärker. Es war schon immer so, dass Negatives immer mehr im Fokus ist. Es gibt ja auch Studien dazu, dass man sich mehr an Negatives als an Positives erinnert. Negatives kann man eben besser raus schreien… Klar, Positives kannst du auch raus schreien, aber ich glaube, das singt man lieber. Hoffe ich. Es wird aber leider viel gemeckert, und es ist viel Wut da.
Oliver: Es wollen auch viel mehr Leute Aufmerksamkeit und rufen, ja schreien laut. Das empfinden wir als sehr anstrengend.

Ganz anderes Thema: Erstmals war Sebastian Cleemann, den wir alle schon von Liveshows kennen, auch im Studio mit von der Partie. Wie war dieses Arbeiten zu dritt, welche Vorteile hat es und vielleicht auch welche Nachteile?
Kevin: 
Es war erstmal komisch auf jeden Fall. Am meisten auch für ihn selbst, wie er mir berichtet hat.
Oliver: Im Nachhinein fand ich es sehr schön, wie es dann gelaufen ist. Es hat sich alles einfach sehr gut entwickelt über die ganzen Jahre hinweg. Erst haben wir beide (Kevin und ich) uns kennen gelernt, dann kam Sebastian dazu, fünf Jahre später hat er angefangen, bei uns Schlagzeug zu spielen, daraufhin haben wir beschlossen, ihn zu fragen, ob er nicht Lust hat, auch beim Album mitzumachen. Obwohl… eine explizite Frage war auch das nicht, es hat sich einfach so ergeben. Dennoch war es dann so, als wir uns das erste Mal zu dritt zum Aufnehmen getroffen haben, dass wir alle erstmal wieder unseren Platz finden müssen in der neuen Situation, obwohl wir uns schon so lange kennen. Wir mussten herausfinden, wie es funktioniert. Das haben wir zum Glück rausgefunden, nach anfänglichen Wacklern hat es dann prima funktioniert.
Kevin: Wir haben das vorher noch nie gemacht, dass wir uns in den Proberaum gestellt haben und sagten „Hey, ich hab hier ne Idee“. Das war erstmal komisch. Aber es hat geklappt, mit einem Song ist es genauso gelaufen und der hat es auch aufs Album geschafft. Der „Minutenklopfer“. Wenn wir den jetzt live spielen, ergibt das Sinn. Oliver sagt immer, der Song ist sehr geschlossen.

Hört man den ersten Song, ja, die ersten Takte des neuen Albums, so weiß man sofort: Das ist CLICKCLICKDECKER. Diese Lebendigkeit und der Einsatz ungewöhnlicher Soundeffekte lassen das schnell erkennen, der Gesang sowieso. Mögt ihr diese klare Erkennbarkeit, oder möchtet ihr den Wiedererkennungswert lieber vermeiden?
Kevin: 
Das ist natürlich gut, ich fühle das gerade als sehr angenehm, dass man seinen Fingerabdruck hat.
Oliver: Ich finde auch, das steht überhaupt nicht im Widerspruch dazu, dass man sich weiterentwickelt. Ich habe, als wir in Bremen gespielt haben, meine Schwester getroffen, sie war im QUEEN-Film, und mein Schwager meinte, dass es ihn fasziniert, dass es Bands gibt, wo man sofort erkennt, was für eine Band es ist. Ich würde mich jetzt nicht aus dem Fenster lehnen und sagen, dass CLICKCLICKDECKER einen ebenso prägnanten Sound hat wie QUEEN oder U2 oder THE POLICE, wo klar ist, die Gitarre ist The Edge oder Brian May, das meine ich überhaupt nicht. Dennoch finde ich es sehr schön, wenn man eine Band erkennt, denn da sind Menschen dahinter – und die erkennt man ja auch wieder, wenn man sie sieht. Die Kombination von Mensch und Musik ist da sehr schön.
Kevin:Das kann ich genau so unterschreiben. Tu ich auch.

Deine Texte, Kevin, sind nie wirklich eindeutig, lassen viel Platz für eigene Gedanken und Verbindungen, was ja auch beabsichtigt ist. Besonders auffällig empfinde ich es bei meinem Lieblingssong „Läuft es eher daneben“, gerade mit der Anfangszeile „Ich hab hier mal was vorbereitet – für meine Todesanzeige“. Darf ich dich dennoch fragen, was dir beim Schreiben dieser Zeilen durch den Kopf ging?
Kevin: 
Das war einfach da. Das waren schlicht die Eröffnungssätze für dieses Lied. Da wir Lieder machen, die man auch dann noch hören kann, wenn wir tot sind… es kam halt einfach das Wort „Todesanzeige“ vor. Ist reiner Zufall. Eigentlich geht es darum, dass ich jemanden vermisse, den ich aus den Augen verloren habe. Man verliert sich manchmal mit den Jahren eben aus den Augen, weil jeder irgendwie sein eigenes Süppchen kocht, und man schafft es immer weniger, den Kontakt zu halten. Darum geht es eher. Es hat nichts explizit mit einer Todesanzeige zu tun.

Ihr nutzt häufig Alltagsgeräusche (Schalter, Diele) in euren Songs. Entstehen diese zufällig, oder ist das von Anfang an gewollt?
Kevin: 
Der Schalter ist einfach der Schalter vom Harmonium. Das haben wir einfach angeschaltet, dann geht das Gebläse an und dann war es eben da.
Oliver: Ich kann mich jetzt nicht erinnern, dass wir irgendwann mal gesagt haben: „Oh, da brauchen wir jetzt unbedingt noch Atmo!“ Das entsteht beim Aufnehmen. Der Schalter der Orgel beispielsweise bildet eine schöne Klammer für den Song.
Kevin: Bei der Orgel haben wir tatsächlich das Ausschalten geplant mit rein genommen, um eben die Klammer noch zu schließen.

Ein ernsteres Thema: In „Schreckmensch“ befasst du dich mit deiner eigenen Depression, die dich während der Aufnahmen heimgesucht hat. Das ist ja schon ein ziemlicher Seelenstriptease zu süßen Melodien. Wie schwer ist dir dieser Text und ist dir dieser Song gefallen – und auch, ihn in die Öffentlichkeit zu stellen?
Kevin: Gar nicht. Ihn in die Öffentlichkeit zu stellen, dabei haben mich Olli und Sebastian bestärkt, weil sie ihn einfach gut fanden. Das andere fiel mir gar nicht schwer, ganz im Gegenteil. Ich will jetzt nicht sagen, dass es eine Befreiung war, ich bin ja jetzt nicht „geheilt“ oder so, aber es hat einfach gut getan auszudrücken, was man so fühlt. Den Weg, wie man damit umgeht, muss allerdings jeder für sich selbst finden. Dafür gibt es kein Werkzeug, das ich nun jemandem an die Hand geben kann. Es gibt natürlich mehrere Werkzeuge, aber jeder muss das finden, was für ihn passt.

Eine Frage, die ich von meinen Schülern stellen soll: Wie seht ihr als Musiker die Entwicklung in Sachen Artikel 13?
Kevin: 
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich da noch nicht sehr informiert habe. Per Zufall habe ich es jetzt auf Tour irgendwo satirisch aufgearbeitet gesehen, wo YouTube-Stars nachgemacht wurden. Ich habe es aber nicht wirklich verfolgt. Die Uploadfilter sollten wahrscheinlich uns beschäftigen, als Musiker. Es beschäftigt mich aber nicht besonders. Mit den Uploadfiltern habe ich allerdings jetzt schon zu kämpfen, dass beispielsweise, wenn ich privat mich dazu entscheide, ich mache ein Video zu einem unserer Songs und lade das bei YouTube hoch, dann ist es erstmal gesperrt. Dann muss ich zunächst bei Audiolith im Büro anrufen und es von denen freischalten lassen. Das kenne ich jetzt schon. Ich bin sehr gespannt, wie sie es umsetzen wollen. Entweder wird es wirklich eine harte Schranke, die dann sehr viel einschränkt, aber ich kann mir auch vorstellen, dass es gut wird, denn im Kern hat es auch was Positives, so vom Grundgedanken. Ich bin gespannt.

Ihr seid ja auch bei Spotify oder Ultimate Music zu finden. Was bekommt man da eigentlich als Künstler? Wisst ihr das überhaupt?
Kevin: 
Wir können dazu einfach das Beispiel von unserem Schlagzeuger erzählen. Sebastian, der ja mit PETULA sein neues Album veröffentlicht hat, ist mit einem Lied, „Juno“, in einer Playlist bei Spotify gelandet und hat dadurch 300.000 Plays generiert. Und wie er sagte, fiel für ihn ungefähr ein Tausender ab. Die Fixkosten konnten damit gerade mal getilgt werden. Wenn man das damit vergleicht, wenn 300.000 Leute die Single kaufen würden… das ist was ganz anderes.

Wir haben uns vor fünf Jahren schon einmal über Inklusion unterhalten…
Kevin [unterbricht sofort]: 
Inklusion ist ja gescheitert.

Okay, nachvollziehbarer Standpunkt… Für die schulische Ebene kann ich sagen, dass sich seither nicht viel verbessert hat, es auch weiterhin eher ein Stückwerk ist.
Kevin:
Ich sehe das ganz ähnlich. Ich habe auch viele Lehrerfreunde oder Sozialpädagogen, die an Schulen arbeiten, und bin selber durch meine Arbeit mindestens zweimal die Woche an einer Schule. Ich bekomme da eben auch viel mit, was den ganzen Zuwachs hier in der Stadt angeht, dass Schulen siebenzügig sind, das ist schon krass. Es ist einfach nicht gut geplant. Wir müssen das jetzt machen, setzt das gefälligst um, so kommt es mir vor.

Viele stehen als Lehrer auch gar nicht hinter diesem Inklusionsgedanken. Olli, wie siehst du das? Hast du irgendwelche Kontakte?
Oliver: 
Ich bekomme eher am Rande etwas über meine Schwester mit, die Lehrerin ist. Das ist ja schon eine längere Entwicklung, es wird immer schwieriger, dem Beruf gerecht zu werden, die Belastung nimmt mehr und mehr zu. Aus eigener Hand kann ich dazu aber nichts sagen.

Eine Frage zum Schluss, die sein muss: Warum Bielefeld?
Kevin: 
Schöner als Paderborn.  Oder Fulda. Klingt auch viel besser. Es stand einfach zur Debatte. Es muss ja auch irgendwie heißen. Heißt dann eben Bielefeld.

Wie erwartet ihr den heutigen Tourabschluss?
Oliver: 
Mit freudiger Aufregung. Ich bin jetzt schon ein bisschen nervös, freue mich aber total. Wie vor jedem Hamburg-Konzert hab ich Bammel, dass dann gerade hier irgendwas schief läuft. Das ist schon was Besonderes hier.
Kevin: Zu Hause spielen ist immer so ein bisschen schwierig. Vor Leuten, die man eben auch persönlich kennt. Und dann ist Tourabschluss, da ist man auch ein bisschen traurig. Aber noch sind wir alle gut drauf und freuen uns.

Simon-Dominik Otte

Mensch. Musiker (#Nullmorphem). Schauspieler (#BUSC). Rezensent (#blueprintfanzine). Come on, @effzeh! AFP-Fan. (#Amandapalmer). Lehrer. Und überhaupt. Und so.