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Booze Cruise Festival 2018 (Hamburg)

Sommer! Sonne!! Punkrock!!! Die Rahmenbedingungen für das diesjährige Booze Cruise Festival hätten besser nicht sein können. Vier Tage lang sollten fast 70 Acts diverse Schiffe und Clubs rund um den Hamburger Hafen beschallen und die Hansestadt während dieser Zeit in Deutschlands derbsten Punkrock-Hotspot verwandeln. Klar, dass wir uns dieses Spektakel nicht entgehen lassen wollten, und so machte sich das investigative Blueprint-Reporterteam bereits am Donnerstag auf den Weg Richtung Hafenkante…

Donnerstag, 07.06.2018

Eigentlich wollten wir das Festival standesgemäß mit einem kleineren Bootstörn einläuten, da die ARTERIALS auf der MS Claudia spielten und wir uns die Lieder ihres jüngst erschienenen Albums „Constructive summer“ gerne mal live zu Gemüte führen wollten. Doch leider waren wir nicht die Einzigen mit dieser Idee, und da nur ca. 90 Leute für die besagte Hafenbarkasse zugelassen sind, kamen wir leider nicht mehr mit an Bord.

Also hieß es für uns zunächst einmal weniger cruisen, sondern mehr boozen. Verschmerzbar, zumal man zum nächsten Live-Act lediglich eine Treppe runtergehen musste, denn vor der Fischbrötchenbude an der Brücke 10 wurde kurzerhand ein Palettenstapel zur Singer/Songwriter-Bühne umgewandelt. Dass wir dem dort stattfindenden Auftritt von ANDREW PALEY lediglich für eine Holsten Edel-Länge gelauscht haben, lag zum einen daran, dass uns seine Musik nicht wirklich zusagte (Zitat eines fachkundigen Kollegen vom Bierschinken-Fanzine: „Der klingt ja wie PHIL COLLINS!“), zum anderen aber natürlich auch daran, dass wir an diesem Abend noch weitere Bands auf dem Zettel hatten. CLEAN BREAK beispielsweise, die aus Portugal stammen und typischen Straight Edge-Hardcore spielen. Deren Auftritt im Goldenen Salon litt zwar ein wenig an dem überschaubaren Publikumsaufkommen und dem, meiner Meinung nach, zu lauten und undifferenzierten Sound, aber es machte trotzdem Spaß, den Jungs zuzuschauen.

Die im Anschluss spielenden SLOWCOACHES verbanden treibenden Indie-Rock mit bratenden Punk-Gitarren, wobei die Sängerin zudem einen gewissen THE BANGLES-Touch mit einbrachte. Auf jeden Fall eine sehr interessante Band, die es demnächst auch mal auf Tonträger auszuchecken gilt. Headliner des ersten Abends waren PKEW PKEW PKEW. Bisher hatte ich mich nie so richtig mit dem Schaffen der kanadischen Pop-Punks auseinander gesetzt, aber wer schon einmal das Video zu ihrem Song „Before we go out drinking“ gesehen hat, kann sich mit Sicherheit vorstellen, dass es bei ihren Auftritten alles andere als langweilig zur Sache geht. Gute Songs, ein guter Auftritt sowie ein textsicheres Publikum rundeten den ersten Abend ab und machten schon mal verdammt viel Lust auf die kommenden Tage!

Freitag, 08.06.2018

Wie schon am Vortag begann auch der Donnerstag für uns mit einen Singer/Songwriter-Auftritt: JAY ROCKET trat im Überquell auf, einem Laden, der mir bislang eher für sein breites Craftbeer-Angebot und seine phantastische Pizza als für Live-Musik bekannt war. Der TEENAGE BOTTLEROCKET-Frontmann schmetterte gut gelaunt Lieder seiner Hauptband, vereinzelte Solo-Stücke sowie das RAMONES-Stück „Pet cementry“, welches nebenbei bemerkt beim Publikum am Besten anzukommen schien. Insgesamt kein besonders spektakulärer Auftritt, aber nichtsdestotrotz ein guter Start ins heutige Musikprogramm. Weiter ging es ins Hafenklang zu den 13 CROWES. Deren Album „Young poets“ charakterisierte einer unserer Schreiber einmal mit den Begriffen „mitreißend, überzeugend, rockend“, und zumindest an diesem Tag musste ich ihm da absolut Recht geben, denn die Schotten klangen wie THE GASLIGHT ANTHEM zu deren besten Zeiten.

Ein Stockwerk weiter oben im Goldenen Salon stand im direkten Anschluss die Pop-Punk-Legende THE LILLINGTONS auf der Bühne und spielte ihre angeblich allererste Europa-Show. Und was für eine – angefangen mit „Drawing down the stars“ über Song wie „War of the worlds“, „Black hole in my mind“ und „X-ray Specs“ bis hin zur abschließenden Hymne „Lillington High“ hauten sie Hit um Hit raus, wobei der Schwerpunkt der Setlist offenbar auf dem Material der Alben „Death by television“ und „Stella Sapiente“ lag. Möglicherweise bestand ihr späteres zweites Set aus anderen Liedern, doch uns zog es stattdessen lieber ins Komet, wo mit AFFENMESSERKAMPF die einzige ausschließlich deutschsprachig singende Band des Festivals auf der Bühne stand. Die Erinnerungen an diesen Auftritt verschwammen jedoch standesgemäß im weiteren Verlauf des Abends in den Zigarettenrauch- und Küstennebelschwaden heruntergekommener Kiezspelunken…

Samstag, 09.06.2018

Der heutige Festivaltag begann für mich gegen 16:45 mit einem Besuch in der Washington Bar, welche zugleich die kleinste Venue des diesjährigen Booze Cruise Festivals darstellte. Dort sollten OLD WIVES spielen, die mir zwar bisher nur vom Namen her ein Begriff waren, die mir zugleich aber auch von mehreren Seiten empfohlen wurden. Zunächst hieß es jedoch Geduld aufzubringen, denn aufgrund fehlender Schlagzeugteile begann der Auftritt mit einer guten halben Stunde Verspätung. Dann legten die Kanadier jedoch los wie die Feuerwehr und ballerten einen Punkrock-Smasher nach dem nächsten raus, wobei vor allem die prägnanten Bassläufe des Frontmanns hervorstachen. Da das Publikum zu so früher Uhrzeit noch nicht ganz aufgetaut war, verlegte dieser seinen Standort nach einigen Liedern kurzerhand mitten in den Zuschauerbereich. Gerne hätte ich mir das Spektakel noch länger angeschaut, doch der Zeitplan drängte mich zum Aufbruch, was insofern zu verkraften war, da die OLD WIVES später ja noch einmal auf der MS Kleine Freiheit spielen sollten.

Doch nun ging es erstmal schnurstracks zum Goldenen Salon, wo der heutige Headliner RVIVR um 18 Uhr sein erstes von insgesamt zwei Sets spielen sollten. Und wer diese Formation schon einmal live erleben durfte, weiß um die Live-Qualitäten des Vierers. Von der Band geht eine unglaublich positive Energie aus, die sofort auf das Publikum überspringt. Wahrscheinlich könnten RVIVR auch einfach nur stumpf die Tonleiter rauf- und runterspielen und würden dennoch die Leute mitreißen, doch stattdessen brannten sie mit Stücken wie „Wrong way“, „LMD“, „Spider Song“, „Rainspell“ oder „Cut the cord“ ein wahres Hit-Feuerwerk ab. Möglicherweise der beste Auftritt des gesamten Festivals!

Nach dieser schweißtreibenden Show tat ein wenig frische Luft wahrlich gut, und wir zogen weiter zur Brücke 8, wo sich bereits ein stattlicher Haufen Festivalbesucher eingefunden hatte. Die nächsten zwei Stunden sollte es nun auf dem Oberdeck der MS Kleine Freiheit über die Elbe gehen, wobei die RESOLUTIONS den ersten Slot an Bord zugeteilt bekamen. Die Band war ja schon des Öfteren in Hamburg zu Gast und wusste auch diesmal wieder mit ihrem typischen HOT WATER MUSIC-Sound zu überzeugen. Gleiches gilt für die OLD WIVES, deren Sänger allerdings mit einigen Mikrofonproblemen zu kämpfen hatte. Dennoch bestätigte sich der positive erste Eindruck, den ich einige Stunden zuvor in der Washington Bar gewonnen hatte. Das ist wohl in absehbarer Zeit mal wieder ein Plattenkauf fällig. Auch MAKEWAR wussten zu gefallen, haben mich persönlich aber nicht ganz so gekickt wie die beiden Bands zuvor. Vielleicht lag es auch daran, dass sich langsam der Hunger bei uns breit machte und sich unsere Ohren nach stundenlanger Dauerbeschallung nach einer kleinen Verschnaufpause sehnten… Eine solche gab es zumindest ansatzweise beim darauffolgenden Auftritt von JASON GUY SMILEY. Der tiefenentspannte Ami mit Hang zu exotischen Südfrüchten sorgte mit seiner Akustikgitarre für jede Menge gute Laune, und so war es im Endeffekt auch kein Wunder, dass beinahe der komplette Kahn beim Anlegemanöver mit voller Inbrunst die Textzeilen des von ihm intonierten NO USE FOR A NAME-Covers „International you day“ mitsang.

Als nächstes hatten wir den Gun Club auf dem Zettel, wo wir pünktlich zu den ersten Klängen von REBUKE eintrafen. Die Band aus Göteburg spielte schönen, technisch versierten 90er Jahre Melodycore, der an Kollegen wie MUTE, VENAREA oder die SATANIC SURFERS erinnert. Ein Blickfang war auf jeden Fall die pinkfarbene Kinder-E-Gitarre des Leadsängers – laut seiner Aussage habe er seine Gitarre leider zu heiß und zusammen mit einem roten T-Shirt gewaschen, und dies sei das Ergebnis. Glauben wir ihm einfach mal 😉 Auf jeden Fall eine sympathische Band, die sich selber nicht allzu ernst nimmt. Umso bedauerlicher, dass sich nur knapp 20 Leute zu ihrem Auftritt verirrt hatten. Nachdem wir uns noch kurz gestärkt hatten, standen wir vor der schwierigen Wahl: Einerseits standen mit den MURDERBURGERS und SCHEISSE MINELLI zwei weitere interessante Bands auf der Agenda, parallel fand im Hafenklang jedoch die zweite RVIVR-Show statt. Da einer von uns deren ersten Auftritt verpasst hatte, entschieden wir uns für die letztere Option und haben es erneut nicht bereut, wenngleich der zweite Gig in Sachen Intensität nicht ganz an den ersten herankam, was jedoch eher an der Atmosphäre im Publikum, als am ungebrochenen Einsatz der Band lag. Die beiden gerissenen Gitarrensaiten von Matt Canino sollten eigentlich als Beleg für diese Behauptung ausreichen.

Das letzte Highlight des Abends sollte hingegen im Überquell stattfinden, denn dort warteten SHELLYCOAT mit einem Cover-Set der Emo-Götter SAMIAM auf! Und mal ehrlich – wie kann ein so ereignisreicher Festivaltag besser enden, als mit Evergreens wie „Sunshine“, „Capsized“, „Mud Hill“, „Dull“ oder „Stepson“, das Ganze dazu noch live dargeboten vor einer euphorisierten Crowd? An dieser Stelle übrigens ein dickes Lob an SHELLYCOAT, die die Songs nicht nur spielerisch überzeugend rübergebracht haben, sondern dabei auch noch in puncto Bühnenpräsenz mit vollem Elan zur Sache gegangen sind. Fettes Ding!

Sonntag, 10.06.2018

Am Sonntag stand noch einmal eine abschließende Bootstour auf der MS Tonne an. Beim Boarding wurde allerdings deutlich, dass einige Booze Cruise-Besucher offenbar nach drei Tagen Dauerparty bereits die Segel gestrichen hatten, denn obwohl im Vorfeld eigentlich alle 300 Plätze auf dem Boot belegt waren, war der Kahn beim Ablegen nur zu gut zwei Dritteln gefüllt. Möglicherweise hätte dies anders ausgesehen, wenn der ursprünglich eingeplante Festival-Headliner NOT ON TOUR seinem Namen nicht alle Ehre gemacht und seinen Europa-Trip aus familiären Gründen gecancelt hätte. Sei es drum – der guten Laune unter den Anwesenden tat dies keinen Abbruch, zumal die DOWN & OUTS von der ersten Minute an ordentlich Gas gaben und mit „Astoria“, „Forever Punk“, „Waking up“ oder „Forgotten Streets“ einen wunderbaren Querschnitt ihres bisherigen Schaffens präsentierten. Ob sie das Stück „Sinking ship“ von ihrem „Lifeline“-Album aus Gründen des Aberglaubens nicht gespielt haben, sei an dieser Stelle mal dahin gestellt… Im Gegenzug gab es dafür als Zugabenblock noch drei Cover-Songs von den MISFITS, MINOR THREAT und RANCID. Auch nicht schlecht.

Wie gesagt mussten NOT ON TOUR leider passen und wurden durch APOLOGIES, I HAVE NONE ersetzt. Folglich gab es emotionalen Post-Punk anstatt flotten Melodycore auf die Lauscher. Für mich war es das erste Live-Rendezvous mit den Liverpoolern, die mit „Long gone“ und „Sat in Vicky Park“ zum Abschluss des Booze Cruise Festivals noch mal ein paar richtig schwere Kaliber rausfeuerten. Somit fand das Booze Cruise 2018 ein durchaus standesgemäßes Ende. Wir sehen uns im nächsten Jahr!

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.